NEWS 1/2023

Liechtensteinische Regierung will Fürstlichen Obersten Gerichtshof abschaffen!

Der Gesetzgebungsvorschlag der liechtensteinischen Regierung sieht vor, dass es in Liechtenstein hinkünftig nur noch einen zweigliedrigen Instanzenzug geben soll. Letzte Instanz wäre dann ein „Fürstlicher Obergerichtshof“.

Begründet wird diese Regierungsmaßnahme vor allem mit entsprechenden Vorschlägen der GRECO (Group of States against Corruption). Diese hatte in ihrer vierten Evaluationsrunde vom 25.09.2020 (GrecoEval4Rep (2019) 4) für Liechtenstein diverse Evaluierungen veröffentlicht. Dabei war u.a. als problematisch beurteilt worden, dass in Liechtenstein Rechtsanwälte als nebenamtlich tätige Richter fungieren, weil dies Interessenskonflikte bewirken könne. Eine Abschaffung der obersten liechtensteinischen Rechtsprechungsinstanz hat die GRECO indessen keinesfalls angeregt.

Nun sind zwar beim liechtensteinischen Obersten Gerichtshof, dessen zwei Senate aus jeweils fünf Personen bestehen, in der Tat nur nebenamtlich tätige Richter aktiv und diese rekrutieren sich tatsächlich auch teilweise aus dem Kreis liechtensteinischer Rechtsanwälte und/oder Treuhänder. Doch nebenamtlich tätige Richter aus dem Kreis der liechtensteinischen Anwaltschaft sind auch beim liechtensteinischen Verfassungsgericht, dem Staatsgerichtshof tätig und eigenartiger Weise wird diese Parallele im Regierungswurf überhaupt nicht angesprochen, geschweige denn in irgendeiner Weise problematisiert.

Es ist zweifelsohne richtig, wenn aus rechtsstaatlichen Erwägungen auch in Liechtenstein entsprechende Anstrengungen unternommen werden, um die Unabhängigkeit des Richteramts in ausreichendem Maße sicher zu stellen. Doch angesichts einer solchen Zielsetzung bleibt in hohem Maße verwunderlich, weshalb bei der GRECO offenbar noch niemand daran Anstoß genommen hat, dass liechtensteinische Höchstrichter nur für die Dauer von fünf Jahren ernannt werden. Denn Richter des liechtensteinischen Obersten Gerichtshofs sind kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (Art. 22 GOG) nebenamtlich tätig und nebenamtlich tätige Richter werden gem. Art. 16 Abs 2 des Richterdienstgesetzes (nur) für eine Amtsdauer von fünf Jahren ernannt.

Die bloß fünfjährige Amtszeit aller nebenamtlich tätigen liechtensteinischen Richter beim FL OGH wie auch beim FL OG bildet ein nicht zu unterschätzendes Einfallstor für die Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit. Entscheiden nebenamtlich tätige Richter nämlich nicht im Sinne der Erwartungen der politisch Verantwortlichen, fällt es in Liechtenstein sehr leicht, sie wieder „los zu werden“. Man braucht bloß ihre fünfjährige Amtszeit nicht zu verlängern. Von einem "Nebenamt" kann im Übrigen bei jenen beiden OGH-Richtern, welche die zivilrechtliche Judikatur des liechtensteinischen Fürstlichen Obersten Gerichtshofs in den letzen Jahrzehnten maßgeblich prägten (Dr. Karl Kohlegger und Dr. Gert Delle Karth) wohl kaum eine Rede sein. Denn der sehr starke Geschäftsanfall, der mit deren oberstgerichtlicher Tätigkeit verbunden war, wird vielmehr nur als full time job bewältigbar gewesen sein.

Das in einer von vornherein nur 5-jährigen Amtszeit schlummernde Beeinflussungspotenzial und die damit für eine richterliche Unabhängigkeit verbundene, vor allem anreizbedingte Schieflage ist in Liechtenstein aus gleich mehreren Gründen ganz besonders hoch:

Erstens verfügt die Treuhänderlobby in Liechtenstein nach wie vor über einen sehr starken politischen Einfluss auf alle sämtliche Belange, die sich in irgendeiner Weise auf den Finanzdienstleistungsbereich auswirken. Jede in Stiftungs- und Treuhandfällen ergangene letztinstanzliche Entscheidung wirkt sich zwangsläufig auf den liechtensteinischen Treuhandsektor aus; manche Entscheidung in geringerem, manche Entscheidung in sehr bedeutendem Umfang. Besonders gravierende Auswirkungen auf den liechtensteinischen Treuhandsektor zeitigen Entscheidungen liechtensteinischer Gerichte, mit denen Stiftungsräte liechtensteinischer Stiftungen oder Trustees liechtensteinischer Treuhänderschaften (Trusts) gerichtlich ihres Amtes enthoben werden. Ausgerechnet in diesem Bereich sind in den letzten Jahren gleichermaßen auffällige wie eigenartige Entwicklungen in der Rechtsprechung zu beobachten, für welche die einschlägigen gesetzlichen Regelungen eigentlich kaum eine ausreichende methodische Handhabe bieten.

Zweitens stammen in Liechtenstein tätige Richter vielfach aus Österreich und als Grenzgänger beziehen sie für ihren liechtensteinischen Richterdienst ein ungleich höheres Gehalt als für ihre richterliche Tätigkeit in ihrem Heimatland.

Drittens unterliegt das Gehalt eines im Dienst der liechtensteinischen Rechtspflege stehenden österreichischen Richters gemäß Art. 19 des mit Liechtenstein bestehenden österreichischen DBA ausschließlich der sehr favorablen liechtensteinischen Besteuerung. Ein liechtensteinisches Richteramt ist daher vor allem für österreichische Richter in finanzieller Hinsicht besonders attraktiv.

Der in Liechtenstein haupt- oder nebenamtlich tätige österreichische Richter hat daher einiges zu verlieren, sollte seine fünfjährige Amtsperiode nicht verlängert werden …….

Soweit in der liechtensteinischen Regierungsvorlage einer Verzichtbarkeit des Fürstlichen Obersten Gerichtshofs wegen „hoher Qualität“ der zweitinstanzlichen Rechtsprechung durch das Fürstliche Obergericht das Wort geredet wird, kann der Verfasser dieser Zeilen dem – zumindest was die zivilgerichtliche zweitinstanzliche Rechtsprechung betrifft – jedenfalls nicht beitreten.

Der seit dem Ausscheiden des langjährigen und insgesamt sehr umsichtig wirkenden OGH-Präsidenten Dr. Delle Karth leider beim liechtensteinischen Höchstgericht zu beobachtende Qualitätsverlust bei der zivilgerichtlichen Entscheidungsfindung in wichtigen Domänen wie namentlich dem Stiftungs- und Trustrecht hat vielschichtige Gründe. An diesen Gründen gilt es den Hebel anzusetzen. Die geplante Totalabschaffung des obersten liechtensteinischen Gerichts hilft hier nicht weiter. Sie ist unausgewogen und letztlich auch ineffizient.

Nicht von ungefähr hat der Verfasser dieser Zeilen bereits vor mehr als 25 Jahren eine vermehrte Sensibilisierung der liechtensteinischen Richterschaft gegenüber dem Trustkonzept eingefordert und in diesem Zusammenhang eine spezifische treuhandrechtliche Fachausbildung (auch) junger liechtensteinischer Richter vor allem in rechtvergleichender Hinsicht mit Blickrichtung Trust des Common Law angeregt (Harald Bösch, Trust und Fiduzia im liechtensteinischen Recht, Jus & News 1997, 55).

Doch geschehen ist nichts und so muss man sich in Liechtenstein nicht wundern, dass insbesondere das liechtensteinische Trustrecht durch eine vollkommen fehlgeleitete Rechtsprechung inzwischen zu einer Großbaustelle geworden ist, die dem Rechtsinstitut der liechtensteinischen Treuhänderschaft (FL Trust) schweren Schaden zufügt. Zu dieser Fehlentwicklung hat Übrigens das Fürstliche Obergericht, also die von der Regierung geplante neue liechtensteinische „Superinstanz“, in gleichem Maße beigetragen wie der FL OGH.

Durch die Abschaffung des liechtensteinischen Obersten Gerichtshofs wird diese justizielle Großbaustelle gewiss nicht behoben. Hierzu ist vielmehr an ganz anderen Stellschrauben zu drehen.

Es ist Liechtenstein daher zu wünschen, dass sein Landtag dem unausgegorenen Regierungsprojekt nicht nur eine baldige, sondern auch eine eindeutige Absage erteilt.

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